Unter der Lupe

Gibson "Advanced" L-5 1936

Von Rudolph Blazer und Wilhelm Henkes

Wenn Gutes noch mal getoppt werden soll und keine treffende Bezeichnung sich anbietet, klingt der Zusatz "Advanced" auf jeden Fall viel versprechend, klingt nach Superbonus oder extra breit. So zumindest bei Gibson in den 30er Jahren, als viele Modelle einer echten Modellpflege unterzogen wurden und danach den stolzen Titel "Advanced" zumindest im Katalog führten. Das Gibson Modell, das unter allen anderen ohne Zweifel am ehesten einen Titel verdient hätte, ist die L-5. Als Master Modell durch Lloyd Loar im Jahr 1922 geboren (siehe AG 3/03) ist sie der Pionier aller Archtop Gitarren. Als in den 30ern nun der Run auf neue lautere und größere Gitarren losging, wuchs die 16 Zoll breite Master L-5 auf 17 Zoll an und mutierte mit neuem Gesicht, neuer Form und neuer Konstruktion zur ungekrönten Königin der Archtops: zur Advanced L-5.

Wenn es irgend eine Gitarre gibt, die alle modernen Musikrichtungen mit eingeleitet hat, ja immer in vorderster Front mitgespielt hat, wenn es galt, etwas revolutionäres in Sachen Populärer Musik voranzutreiben, dann zeigte sich Gibsons L-5 und deren Spieler in der ersten Reihe. Heute jedoch stecken diese F-Loch Gitarren fast in einer etwas muffigen Jazz Ecke und agieren als reine Akustikgitarre ohne Elektrik lediglich als Nebendarsteller, was völlig unverständlich ist. Als wäre sie für aktuelle Musik und Stilrichtungen wenig geeignet. Am Anfang ihrer Karriere gab es interessanter Weise noch kaum Schubladen für Musikstile, schon gar nicht in den wilden 20ern. Ob es jetzt Country, Western Swing, Gitarrenduos oder Big Bands waren, überall sah man sie.

Sie wurden hoch angesehen ob ihrer akustischen Eigenschaften, welche die moderneren Nachfahren, auch wenn sie immer noch denselben Modellnamen tragen, nicht mehr innehaben. Die Advanced L-5 Archtops sind druckvoll, dynamisch und laut, genau das, was man brauchte - in einer Zeit, in welcher es höchstens für den Vokalisten ein Mikro gab. Heutzutage kaum vorstellbar, wo es offensichtlich keinerlei Mühe macht, auch das schlechteste Instrument bis ins Unerträgliche zu verstärken. In dieser extrem wichtige Epoche also, wo man schon überall die Vorboten des Rock and Roll hören konnte, spielten Musiker wie Scotty Moore (Elvis Presleys erster Sologitarrist), Les Paul, bevor er seine Les Paul bekam, Bill Haley (Rock Around the Clock) oder auch viele Instrumentalisten der Grand Ole Opry fleißig ihre L-5 Gitarren.

Geschätzt wurden sie ja nicht wegen ihrer "elektrischen" Eigenschaften - Pickups gab es zunächst nur für die Hawaii Gitarren. Vor allem weil sie sich im Ensemble durchsetzen konnten, wurden sie vielerorts bevorzugt genutzt, ganz zu schweigen von der Schönheit des Tones. Allein schon deswegen lohnt es, sich etwas intensiver mit ihren bautechnischen Feinheiten und Veränderungen auseinander zusetzen. Wobei allerdings, was die akustischen Klangkomponenten anbelangt, diese Entwicklung nach dem Krieg mit dem Aufkommen der Option der elektrischen Verstärkung und deren konsequenter Anpassung an die Konstruktion, einen steilen Absturz erfährt. Aber dazu mehr im nächsten Heft.

Die abgebildete '36er L-5 war ohne Zweifel im Besitz eines fleißigen Musikers, reichlich Spuren überall erkennbar. Dieser musste dazu noch ein bekannter Vertreter seines Fachs gewesen sein, denn er ließ sich seine Initialen J~C in die Abdeckkappe der Halsschraube eingravieren, was damals bei Gibson nicht unüblich war. Unsere anfängliche Begeisterung und Hochspannung, es könne sich hierbei natürlich um niemand anderen und geringeren wie Johnny Cash handeln, löste sich allerdings spontan beim Auffinden eines Kaufbeleges im Kofferfach über 10 Dollar und eine Box Black Diamond Strings, datiert auf 1934 und den Namen Jo Coliani (oder so ähnlich). Sicher wie seine vielen anderen Kollegen italienischer Abstammung ein hervorragender Musiker aber eben leider nicht Johnny Cash. Naja, da war Johnny auch erst 2 Jahre alt. Hätte aber doch sein können, oder?

 

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1936 L-5 mit kurzer Mensur und X-Verbalkung
Boden und Zargen aus "Quilted Maple"
Kopf mit frühem dünnen Gibson Logo und gravierter Abdeckkappe
Vergoldete Grover Mechaniken G-98

36er Version des späteren Variotone Tailpiece, kleine ff-Löcher und hohe Stegposition

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