Unter der Lupe
Gibson "Advanced" L-5 1938
Von Wilhelm Henkes und Rudolph Blazer
Ein immer wieder spannendes und ebenso häufig wiederkehrendes wie
beliebtes Thema bei der Betrachtung von Gibson Modellen ist das der Modellvariation.
Um nicht die Orientierung zu verlieren, möchte man als Betrachter
sich gerne eines Leitfadens bedienen, möglichst alle Daten und Aufzeichnungen
zu einer Liste zusammengefasst vor sich sehen. Bestandteile solcher Listen
sind auf jeden Fall die Serien- und Herstellungsnummern, verwendete Teile
wie Mechaniken und Saitenhalter, aber auch Maße, Verbalkungsmuster
und Lackierungen. Zum Thema Gibson Advanced L-5 haben wir in der vorhergehenden
AG Ausgabe ein '36er Modell vorgestellt und wenden nun unser Augenmerk
Gibsons "Modellpflege" zu. Wie sieht also eine L-5 des nächsten
Jahrgangs aus?
Der forsch voranschreitende Gitarrenhistoriker könnte bei einem
anderen Hersteller wie zum Beispiel Martin ohne weiteres die Feststellung
treffen, dass es hier meistens geordnet nach Plan zugeht und sich die
Herren Hersteller an ihre Vorgaben halten. Bei Gibson tauchen schon öfters
mal Querschläger auf, die es aber nach Aussagen der Fachliteratur
eigentlich nicht geben dürfte. Böse Zungen sprechen gar von
Inkonsistenz, also mangelhafte Modelltreue und planlosem Konzept. Die
Gibson Kataloge bildeten sowieso nur das als Fotografie ab, was in der
aktuellen Produktion schon überholt war. Dazu gab's dann noch einen
dazu entgegen lautenden Text, und eine gewisse Verwirrung des Betrachters
stellt sich damals wie heute fast unweigerlich ein. Die Diskrepanz nun
zwischen Soll- und Istzustand im Sinn habend bildeten sich Sprichwörter
wie: "Sag niemals nie bei einer Gibson" oder ähnlich: "Bei
Gibson gibt es nichts, was es nicht gibt". Kürzlich tauchte
ein neues auf, welches uns besonders gefiel: "Nimm von einem Gibson
Modell das erste und das letzte Exemplar - alle anderen sind Übergangsmodelle".
Mit der Experimentier- und Improvisationsfreudigkeit bei Gibson haben
wir uns schon an anderer Stelle beschäftigt und wollen diese hier
nicht weiter verfolgen, sehr wohl aber einige der Veränderungen oder
Variationen des Advanced L-5 Modells benennen: Bei Gibson lassen sich
in den Dreißigern grob zwei Jahreszahlen herausfiltern, bei denen
größere Umstrukturierungen stattgefunden haben. Diese sind
1934 und 1939. '34 erschienen viele Modelle erstmals oder, wie die L-5,
stark verändert und modernisiert. 1939 nun war das eigentliche Jahr
der Modernisierung - es ging eher um Modellpflege. Mit dem Modellzusatz
"Premier" wurde erstmals ein Cutaway angeboten. Natur Lackierungen
wurden verstärkt eingeführt und noch übrig gebliebene V-förmige
Halsprofile gingen endgültig in runde über. Die L-5 hatte allerdings
schon immer ein rundes Halsprofil.
Neben einigen Feinheiten wie Ausführungen des Saitenhalters, die
der ff-Löcher (siehe Teilabbildung einer 1934er L-5) oder des Perlmuttlogos
sind aber gerade einige konstruktive Details interessant, die bislang
in der Fachliteratur nur wenig Aufmerksamkeit fanden: die Mensurlänge,
Wölbung von Boden und Decke und die Verbalkung. Aufmerksame Beobachter
konnten schon feststellen, dass spätere Modelle - sprich ab 1939
- eine ausgeprägtere und rundere Wölbung von Decke und Boden
zeigten wie die Mittdreißiger. Auch die Verbalkung der Decke galt
als Parallel-Verbalkung generell dem Standard entsprechend. In Bezug dessen
konnte man weiterhin erörtern: die lange Mensur, welche den strafferen
Ton hervorbringen soll, machte die Trilogie komplett. Besonders der Zusammenhang
zwischen Wölbungsform und Verbalkungsart scheint nach einigem Nachdenken
offensichtlich. Die diagonal zur Wölbung verlaufende x-Verbalkung
wäre nur mit viel Aufwand einer runden und geschwungenen Wölbung
anzupassen. So erklärt sich, warum die x-Verbalkung im Jahr 1934
mit einer Wölbungsform auftauchte, welche eher den Deckenrand betraf,
zum großen Teil in der Deckenmitte aber eben war. Die Anpassung
der Balken an die Wölbung vereinfachte sich damit erheblich. Die
längs zur Deckenwölbung verlaufende Parallel-Verbalkung dagegen
ist wesentlich einfacher an rundere Wölbungen anzugleichen. Also
das gemeinsame Erscheinen von Wölbungs- und Verbalkungsvariation
erscheint durchaus logisch. Bei der abgebildeten L-5 von 1938 fanden wir
zwar die flachere Wölbungsform aber dazu zu unserem Erstaunen eine
Parallel-Verbalkung und die lange Mensur, was wir sonst gerade dieser
Logik wegen in das Jahr 1939 einordnen würden. Die Parallel-Verbalkung
passend zur runden Wölbung gibt mit der langen Mensur durchaus auch
klanglich Sinn. Mit Parallel-Verbalkung (die es 1938 eigentlich nicht
noch gibt) und flacher Wölbung mit langer Mensur macht den Ton extra
knackig, schade eigentlich, dass es diese Variante eigentlich nicht gibt
- zumindest bis auf ein Exemplar. Naja, wie wir nun wissen, gibt es ja
eigentlich nichts, was es bei Gibson nicht gibt. In diesem Sinne.
<< Gibson "Advanced"
L5 1936
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